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Autor: Bernd Lange
So die richtige Weihnachtsstimmung sollte sich mir im vergangenen Jahr nicht offenbaren. Nein! – mit diesen Worten anzufangen, wird der Zeit, wie ich sie die letzten Wochen erleben durfte, nicht gerecht. Um ehrlich zu sein, fängt meine Weihnachtsgeschichte anders an:
So die richtige Vorweihnachtsstimmung sollte sich mir nicht offenbaren. Ich hatte beschlossen, im letzten Jahr auf den ganzen Weihnachtsrummel ganz und gar zu verzichten. So dieses gesamte Programm, was uns vor Weihnachten, an Weihnachten und nach Weihnachten vorgespielt wird. Um nur ein Beispiel rauszupicken: das in unserer Branche viel zitierte Konsumverhalten. Der Gedankenstress, was alles besorgt werden muss, an Geschenken, an Dingen und Mitteln, die für die Weihnachtstage alle benötigt werden, um dann festzustellen, dass sie nicht notwendig sind. Der Gewissensstress, was alles vergessen worden ist, an was allem gesündigt worden ist, wenn man nachdenklich die Kerzenlichter am Weihnachtsbaum flackern sieht. Der Geschäftsstress, wenn ’zwischen den Jahren’, wie die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr auch gerne genannt werden, all die Geschenke umgetauscht, all die geschenkten Gutscheine eingelöst werden müssen. Er ließe sich beliebig ausbreiten – der Weihnachtsrummel vorher, mittendrin, danach.
Ende August geht es inzwischen üblicherweise schon los, dass wir vehement an die erst Monate später bevorstehenden Weihnachtstage erinnert werden. In den Supermarktregalen tauchen plötzlich neben den Barbecue-Soßen für die anstehende Grillparty erste Lebkuchenherzen auf. Ich mag sie nicht, weder im Sommer gegrillt, noch zur Adventszeit zu einer guten Tasse Tee. Im Oktober schlagen die ersten Glühweinbuden in den einschlägigen Einkaufspassagen der Innenstadtzonen ihre Zelte auf. Ich trinke lieber einen gut gekühlten weißen Tropfen als diese klebrig-roten Heißgetränke, womöglich noch mit obenauf schwimmenden Nelken oder Zimtsternen. Im November dann gibt es gar kein Einhalten mehr, als wäre in den nächsten Wochen an jedem Tag Heiligabend. Welcher Weihnachtsschmuck, welche Weihnachtsdekoration ist dieses Mal angesagt, um dem Tannengrün des Adventskranzes oder des Weihnachtsbaumes, um der braunen Kruste des Festtagsbratens den optisch gelungenen Farbkontrast zu geben? Egal, ob es passt, Hauptsache bunt und schrill, prall und viel. Spätestens dann, mit Beginn der Adventszeit, bin ich ganz ausgestiegen, mental. Aus allen nur denkbaren Lautsprechern dröhnte das ’Alle Jahre wieder…’, schepperten die ’Jingle Bells…’, stürzte das ’Vom Himmel hoch…’ auf mich ein. Schneeflocken waren es keine, es ließ sich durchaus bei moderaten Temperaturen in Hemd und Pullover über den Weihnachtsmarkt gehen, wer wollte.
Und dann war es soweit: Der Tag der Bescherung, lange angekündigt klopfte er wie der Weihnachtsmann an die Tür. Schuldbewusst fühlte ich mich nicht, dass ich all das, was ich gemeinhin nach den gültigen Vorstellungen her machen sollte, nicht gemacht habe. Keine Geschenke verschenkt, keine Grußbotschaften verschickt, keinen Weihnachtsbaum geschmückt, keine klingenden Glocken und Lieder von fallenden Flocken gehört oder gesungen, keine Gans in den Ofen geschoben, keine Nachwehen zur Nachweihnacht erlebt.
Heiligabend sollte dann doch für mich ein Tag der ganz besonderen Bescherung werden. Vielleicht lag es an der Ruhe, an der Zeit, die ich zum Nachdenken fand? Und die mich ein wenig zur Nachdenklichkeit hinführte. Unwillkürlich erwachten Kindheitserinnerungen in mir, an Weihnachten, das seinen Zauber aus den Tagen meiner Kindheit bezog. Ganz flüchtig mit dem leisen Bedauern, dass es so wie früher nie mehr sein würde. Damals war die Vorweihnachtszeit etwas Geheimnisvolles, Erwartungsvolles, Hoffnungsvolles. Schon allein wegen der Geschenke, doch nicht nur. Der Kerzenschein, wenn man abends hinter die Fenster der Wohnungen schaute, die watteweichen Flocken, die im Licht der Straßenlaternen wirbelten, der Duft aus der Küche nach Vanillezucker, Mandeln und Nüssen, das glitzernde Lametta zwischen den Kerzen und Nadeln am nach Tannenwald riechenden Weihnachtsbaum… Und immer das Gefühl, als raschle andauernd jemand mit Geschenkpapier.
Irgendwann ertappte ich mich bei dem Gedanken, ob Weihnachtsbäume, Weihnachtsräume, Weihnachtsträume wirklich wieder das sein können, was ich als Kind damit verbunden habe. Eine Antwort darauf habe ich nicht gefunden, ich gelangte jedoch zur Erkenntnis, dass die Zeit der Besinnlichkeit mir eine gewisse Hoffnung geschenkt hat: Das Geschenk der Erinnerung an einen vergangenen Zauber, der mich innehalten, nachdenken und vielleicht auch ein wenig sehnsüchtig werden ließ. So ein wenig das Gefühl, dass beim Betrachten eines unruhig flackernden Kerzenlichts doch die Ruhe friedlicher Weihnachten erstrahlt ist…
Die Weihnachtstage sind vorbei, die Zeit ’zwischen den Jahren’ ist ebenfalls spurlos an mir vorübergezogen, auch die Schwelle des Jahreswechsels habe ich ohne nennenswerte Schwierigkeiten mutig überschritten. Ein neues Jahr hat begonnen, wie man so hört und liest, hinlänglich mit den Wünschen verknüpft, dass alles ganz anders werden möge als bisher. Auch in diese Klänge mag ich nicht einstimmen. Ich halt’s da gerne mit dem Größten der deutschen Sprache:
“Im Neuen Jahre Glück und Heil!
Auf Weh und Wunden gute Salbe!
Auf groben Klotz ein grober Keil,
Auf einen Schelmen anderthalbe!“
Goethe sei Dank. Und meiner sei Ihnen gewiss, wenn Sie bis hierhin meinen Worten gefolgt sind.
NB.
Ein aufmerksamer Leser wird sich jetzt vielleicht fragen, was will mir der Schreiber dieser Weihnachtsbotschaft nun wirklich sagen. Soll sie jetzt schon, statt im September bereits im Januar, die Vorweihnachtsstimmung einläuten? Oder mögen sie aus dem Gefühl der Ruhe heraus, nach all dem Trubel, der um uns herum tobte, einige Worte des Grußes sein, die jetzt, gerade jetzt Balsam für ein wenig nachdenkliche Muße schenken können.
Ein Schuft, wer Böses dabei denkt: Möge mein Gruß für das neue Jahr, wenn er in dieser Zeit einen Menschen erreicht, nicht untergehen. Sondern so erlebt werden, dass er als Wunsch des Aufwärtsgehens für jeden Tag des Jahres 2014 verstanden und verinnerlicht wird. Auf alle Fälle eine gute Salbe, die wünsche ich uns allen.